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24. März 2023

Dr. Wilfried Seywald (Wien / Berg im Drautal)

Dr. Wilfried Seywald (61) ist Kommunikationsberater und Programmkoordinator der Europäischen Toleranzgespräche, die vom 24. bis 27. Mai in Villach und Fresach stattfinden. Mit dem diesjährigen Thema „Wachstum am Ende – Was jetzt?“ will er vor allem die Grenzen des Wohlstands und die Chancen zur Überwindung des Klimawandels erörtern. Mehr dazu auf http://www.fresach.org
Dr. Wilfried Seywald (Wien / Berg im Drautal)

Kommunikations- und Strategieberater

Mehr Wachstum für Talente, mehr Toleranz für die Welt

OVT: Herr Dr. Seywald, warum ist das Thema „Wachstum“ in aller Munde?

Dr. Wilfried Seywald: Wachstum ist ein sehr ideologisch punzierter Begriff, für manche Leute sogar eine Religion. Viele meinen, ohne Wachstum ginge es nicht, die ganze westliche Wirtschaftswelt fußt auf dem Wachstumsprinzip. Was in früheren Jahrhunderten Gott, Kirche und Kaiser waren – also umumstößliche Garanten für Orientierung und Sicherheit – das gilt heute für das Wirtschaftswachstum. Und doch hat dieser Glaube Risse bekommen, das hat schon in den 1970er-Jahren mit der Ölkrise und dem „Club of Rome“-Manifest „Die Grenzen des Wachstums“ begonnen. Inzwischen sind 50 Jahre vergangen, und wir haben wenig bis nichts dazugelernt, im Gegenteil – die Weltbevölkerung hat sich auf 8 Mrd Menschen verdoppelt, wir beuten die Ressourcen der Erde rücksichtsloser aus denn je, und die Klimafolgen können wir jeden Tag mit Erderwärmung, Gletscherschmelze, Naturkatastrophen und Verlust der Artenvielfalt beobachten. Auch der Hunger in den Entwicklungsländern ist nicht weniger geworden, die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt allen Statistiken zufolge weiter zu. Daher wollen wir über eine neue Form des Wachstums sprechen, über eine mögliche dekarbonisierte Zukunft und über eine gerechtere Verteilung des Wohlstands auf unserem Planeten.

Wie kam es ganz grundsätzlich zur Idee der Europäischen Toleranzgespräche?

Die Verantwortlichen für das neue Evangelische Museum in Fresach haben nach der Landesausstellung 2011 (Thema: 400 Jahre Protestantismus in Kärnten) eine passende Idee für ein weiterführendes Jahresprogramm gesucht. Freunde aus der Region haben mich daraufhin eingeladen, kreative Überlegungen anzustellen, was wir dazu beitragen könnten. Als Hobbyhistoriker, PR-Profi und Tourismusmensch habe ich mich dann einfach auf die Recherche begeben – und bin sehr rasch fündig geworden. Für mich war die Auf-
gabenstellung eine größere, nämlich Fresach auf der europäischen Kulturlandkarte zu verankern. Damit mussten wir automatisch weiter ausholen. Mit der Geschichte Kärntens habe ich mich ja schon immer befasst, damit wusste ich, dass das Toleranzpatent von Kaiser Josef II. 1781 die Grundlage dafür war, dass die Protestanten in Österreich nach über 200 Jahren endlich ihre Religion einigermaßen frei ausüben konnten. Und wie wir wissen, hat Toleranz heute für unsere Gesellschaft zwar große Relevanz, aber wenig Heimat. Das war auch der Grundstein zur Idee eines Europäischen Toleranzzentrums in Fresach  und – als sichtbare Aktivität – der Europäischen Toleranzgespräche alljährlich vor Pfingsten. Es gibt übrigens kein zweites Toleranzzentrum in Europa.

Wie würden Sie den Leserinnen und Lesern die Schwerpunkte der Toleranzgespräche skizzieren?

Die Toleranzgespräche in Fresach sind so vielfältig wie wir Menschen. Wir sind sprachlich, ethnisch und in unseren politischen Ansichten unterschiedlich – aber hoffentlich einig, dass wir nur dann in Frieden und Freiheit leben können, wenn wir uns und dem Nächsten im Geiste der Toleranz begegnen. Toleranz bedeutet nicht, alles und jedes zu akzeptieren, vor allem dann nicht, wenn bestimmte Kreise oder Mächte gegen demokratische Prinzipien, Menschenrechte oder gar Völkerrecht verstoßen. Die Schwerpunkte des Europäischen Toleranzzentrums und seiner Aktivitäten sind daher ganz klar definiert. Es geht um Dialog und Informationsaustausch über den Tellerrand hinaus, es geht um die Diskussion von gewaltfreien Zukunftsmodellen für unsere Gesellschaft, es geht um Integration, Ausgleich und Friedenssicherung, um die Motivation von jungen und interessierten Menschen zu sozialem Engagement. Und das machen wir mit Unterstützung von Persönlichkeiten aus Literatur, Philosophie, Wissenschaft und Ökonomie.

Wer wird im Mai dabei sein?

Eröffnet werden die Toleranzgespräche 2023 von der großen österreichischen Autorin und Essayistin Marlene Streeruwitz. Mit dabei sind außerdem die Klimaschutz-Aktivistin Lena Schilling, die Afrika-Inkubatorin Tara Méité, der Globalisierungsexperte Franz Josef Radermacher und der streitbare katholische Theologe Paul M. Zulehner. Außerdem so frische Geister wie Autor Egyd Gstättner, Gemeinwohlexperte Christian Felber, die Systemberaterin Ruth Seliger oder die Nachhaltigkeitsforscherin Christine Ax. Natürlich sind auch heuer wieder die Poetry Slammer mit dabei, aber auch Wirtschaftskapazunder wie der Münchener Investor Hans Albrecht oder der Frankfurter Historiker Werner Plumpe. Alles in allem bemühen wir uns sehr, viele unterschiedliche Perspektiven einzubringen, um die große Bandbreite des Themas darstellen zu können.

Wie sehen Sie es persönlich um unser Weltwirtschaftssystem mit all seinen Auswirkungen bestellt?

Da bin ich gar nicht einmal so pessimistisch. Ich vertraue grundsätzlich auf die Intelligenz, Organisationsfähigkeit und Innovationskraft der Menschheit. Auch wenn wir
nahezu täglich mit den Sünden der globalen Industrie und turbokapitalistischer Methoden der Ausbeutung konfrontiert werden, gibt es doch (schon) viele Beispiele für die nachhaltige Bewirtschaftung unseres Planeten, die mich positiv stimmen, und auch vielfältige Bemühungen, die Transformation im Sinne
einer umwelt- und menschen-verträglichen Entwicklungspolitik zu bewältigen. Natürlich wird es weiterhin Kriege, Zerstörung und Not geben, aber ich bin überzeugt, dass die demokratischen Kräfte auf dieser Welt die autokratischen, menschenverachtenden und totalitären Systeme letztlich überwinden werden – eben weil Liebe und Geduld am Ende stärker sind als Hass und Gewalt, und weil uns die Geschichte lehrt, dass keine Diktatur und kein rein unitaristisches System überlebt hat. Im Vorjahr stand das Thema „WANDEL – Wie kommt das Neue ins System?“ auf dem Programm.

Welchen Wunschtraum hätten Sie privat noch?

Ich habe beinahe alle meine Wunschträume erfüllt, weil ich immer das gemacht habe, was mir Freude bereitet hat. Für mich und meine Familie war auch immer klar, dass ich meinen Träumen folge, selbst wenn sie vollkommen außer Reichweite sind. Für Fresach habe ich mir schon vor den ersten Toleranzgesprächen 2015 vorgenommen, dass ich sie entweder ganz (richtig gut) oder gar nicht mache. Dazu gehörten und gehören auch 2023 mediale Sichtbarkeit über die Grenzen hinaus, thematisch hoher Anspruch und personell die besten Köpfe als Vortragende und Diskussionsteilnehmer. Mittelmäßigkeit, Amateurhaftigkeit und Halbherzigkeit sind für mich ein Graus, im Leben geht es ja immer darum, das Beste aus Menschen, Vorhaben und bestehenden Möglichkeiten (Optionen) herauszuholen. Nur dann kann sich so etwas wie Erfolg oder Befriedigung einstellen.

Und wie gefällt Ihnen der „Oberkärntner Volltreffer“? Bekommen Sie ihn bei Heimatbesuchen in die Hand?

Ich lese den „Oberkärntner Volltreffer“ seit vielen Jahren gerne, um mehr über die Heimat zu erfahren. Trotzdem habe ich mich als Kommunikationsmensch und PR- und Medienberater immer wieder gefragt, wie es zu einem solchen Titel kommt. Ich meine, Volltreffer ist ja ethymologisch etwas, das mitten ins Ziel trifft, also ein Jagd- und/oder auch Kriegsbegriff, erst bei zweiter Hinsicht ein Ereignis oder Gedanke mit durchschlagendem Erfolg – wobei auch das ziemlich martialisch klingt. Bei einem Nachrichtenmedium geht es aber nicht um „Treffer“, sondern um Nachrichten und berichtenswerte Geschichten. Daher wäre mein Vorschlag, den Volltreffer in „Oberkärntner Landbote“ umzutaufen.

Kw.13. Dr. Wilfried Seywald 2

Kurz gefragt:

Sternzeichen: Schütze

Ich höre gern (Musik): Lounge FM

Leibgericht: Kloatzen-Krapfen

Lieblingstier: Steinadler

Lebensmotto: Immer