HB_2023_11
NUMMER 11/2023 91. JAHRGANG OSTTIROLER HEIMATBLÄTTER H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “ Vorbemerkung Am 22. Juni 2023 fragte Michael J. Mayr in seiner Glosse „Mensch Mayr!“ im Osttiroler Boten 1 , ob es denn neben den vielen Osttiroler Sportidolen nicht auch „geistig-künstlerische Weltklasse ‚Made in Osttirol‘“ gebe. Mayr sieht ein Problem darin, dass es zwar bei Sportlern „Ergeb- nisse, greifbare Werte“ gibt, nicht aber bei Geistesgrößen und Künstlern. Bei der Per- son des Valentin Hintner wäre es zwar ver- messen, von geistiger „Weltklasse“ zu sprechen, „Ergebnisse“ und „greifbare Werte“ gibt es aber mit Sicherheit. Man darf ihn getrost zu den bedeutenden Ost- tiroler Geisteswissenschaftlern rechnen. 2 Hintners „Ergebnisse“ haben sich bis heute in so mancher Bibliothek erhalten. 3 Leben und Werk Hintners wurden im Jahr 2003 in seiner Heimatgemeinde St. Veit in Defereggen im Rahmen einer Ausstellung und einer Monographie ge- würdigt. 4 Anlässlich des 100. Todestages soll Hintner hier einer breiteren Leser- schaft vorgestellt werden. Volksschule, Gymnasium und Studium Valentin Hintner stammte aus einer Fa- milie, die im 17. Jahrhundert im Gefolge der Protestantenausweisung im Defereg- gental aus dem Gsieser Tal auf einen ver- waisten Hof im Defereggen eingewandert ist. Er kam am 31. Jänner 1843 im Haus Unterraut zur Welt. Er besuchte die Volks- schule in Feld (Gemeinde St. Veit). Seinem Lehrer Peter Oberwalder – er heiratete im Jahre 1859 Valentins Schwester Maria und wurde Bauer in Unterraut – setzten später dankbare Schüler einen Grabstein in St. Veit. Oberwalder muss demnach ein be- gabter Pädagoge gewesen sein. Von 1857/58 bis 1865 war Valentin Schüler des k. k. Staatsgymnasiums in Brixen, dessen Lehrer sich zu einem guten Teil aus den Chorher- ren des nahen Augustinerstiftes Neustift rekrutierten. Diese Schule war damals für Schüler aus dem Defereggen die nächstge- legene (und praktisch einzige) Möglichkeit, ein Gymnasium zu besuchen. 5 Valentins Be- gabung lag eindeutig im Bereich der Spra- chen, besonders der sogenannten klassi- schen Sprachen Latein und Griechisch, aber auch des Deutschen, mit dem er sich später nicht nur im Rahmen seiner Unterrichts- tätigkeit, sondern auch bei seinen Dialekt- forschungen intensiv beschäftigte. 6 Nach der Matura trug sich Valentin zu- nächst mit dem Gedanken herum, Theolo- gie zu studieren und bei den Augustinern in Neustift einzutreten (so erzählt es jedenfalls die mündliche Familientradition, aber auch der Nachruf in den Innsbrucker Nachrich- ten 7 ), doch schließlich schlug Hintner eine wissenschaftliche Laufbahn ein: Er studierte an der Universität Innsbruck von 1865 bis 1868 für das Lehramt für Klassische Philo- logie, also für Latein und Griechisch. 8 Zwischen Tirol, Czernowitz und Wien In den ersten Jahren wechselte Hintner innerhalb kurzer Zeit mehrmals seinen Wirkungsort: Zunächst diente er ein Se- mester als Probekandidat in Brixen, dann ein weiteres Semester als Supplent (Ver- tretungslehrer) in Innsbruck und wurde im Jahr 1870 durch Ministerialerlass nach Czernowitz berufen. Die neue Wirkungs- stätte in der damals aufstrebenden Haupt- stadt des östlichsten österreichischen Kron- landes Bukowina – es war von 1775 bis 1918 Teil des österreichischen Kaiserstaa- tes und gehört heute zur Ukraine – war von einer großen Vielfalt an Nationalitäten und Religionen bzw. Konfessionen geprägt. 9 Für Hintner allerdings bedeutete diese Versetzung eine große Umstellung und Her- ausforderung, musste er doch damals die so genannte „Programmarbeit“, also einen umfangreichen wissenschaftlichen Beitrag für den Jahresbericht des Gymnasiums ver- fassen. Diese betraf das Theaterstück „Ky- klops“ des griechischen Dichters Euripides. Dabei störte ihn keineswegs die Arbeit an sich, sondern der Mangel an Zeit, aber auch das Fehlen wissenschaftlicher Literatur. 10 Nicht zuletzt deshalb dürfte Hintner eine Rückkehr aus dem „fernsten Osten der Monarchie“ 11 in den Westen, genauer ge- sagt nach Wien, angestrebt haben: Nach einem Jahr am Mariahilfer Gymnasium, dem heutigen Amerling-Gymnasium (1871/1872), kam Hintner an eine der tra- ditionsreichsten Schulen der Stadt, das Porträtfoto von Professor Valentin Hintner (mit Blindstempel „K. K. NÖ. STATT- HALTEREI-PRAESIDIUM“). Fotograf unbekannt; Repr.: Ottilie Stemberger Michael Huber „Mit unermüdlichem Fleiß und treuer Hingabe“ Vor 100 Jahren verstarb der Dialektforscher, Sprachwissenschaftler und Pädagoge Valentin Hintner aus St. Veit in Defereggen
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